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Nichts

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C. hat eine Lücke im System entdeckt. Und sie ist nicht froh darüber. Wenn sie nach der Schule nichts beginnt – keine Ausbildung, kein Studium, kein FSJ – steht sie ohne Kindergeld da. Erhält sie kein Kindergeld mehr, läuft ihr Versicherungsschutz aus.

“Warum gibt es da kein Feld ‘Selbstfindung’?”, fragt sie. Und in der Tat, das System kennt kein Innehalten. Es ist gesellschaftlich nicht vorgesehen.

In dem Film Sollbruchstelle findet sich ein Interview mit einer Schülerin, kurz vor dem Abschluss, ganz ähnlich wie C. Sie berichtet von einem Gespräch mit ihrem Berufsberater. Was ist, wenn ich nichts finde? keine Ausbildung, kein Studium, kein FSJ, ganz ähnlich wie C., hat sie gefragt: “Dann bist du nichts”.

Es ist ein seltsamer Status, Produkt der Bürokratie, eng gesehen: Nichts. Ein Un-Status, um korrekt zu sein. Aber es ist auch das Ergebnis einer Lohnarbeitsgesellschaft. Einer Gesellschaft in der man nicht ist, was man isst, geschweige denn ist, sondern was man macht.

Der amerikanische Slam Poet und Lehrer Taylor Mali hat die doppelte Bedeutung dieses Wortes, machen, ausgereizt: What teachers make. “You’re a teacher, Taylor? Come on, be honest, what do you make? – I make kids wonder, I make them question, I make them criticize, I make them apologize and mean it”.

Machen, das meint Verdienst und Beruf. Von Berufung nie die Rede: heißt es doch machen, nicht ausmachen. C. hat nicht vor, nichts zu machen, ganz im Gegenteil, sind wir doch jung, grad raus aus der Schule und voller Pläne. Allein, das System erzwingt Wandeln in seinen Bahnen.

Das ist die häufig übersehene Seite des Sozialstaates. Er bedeutet für die ihm Angehörigen den Anspruch auf materielle Unterstützung. Aber er fordert als Gegenleistung auch das Commitment zur Lohnarbeit ein.

Es ist ein Deal, der einst mehr als akzeptabel schien in einer Zeit, als materielle Güter noch Produkt der Menschen Hände waren. Als jeder beitragen musste, damit etwas verteilt werden konnte an die, die beizutragen nicht fähig waren. Aber das Gesicht der Welt hat sich seitdem verändert: Egal, was C. macht – die Räder der Maschinen drehen sich weiter; spucken Werte in die Welt, die nicht mehr Produkt arbeitender, sondern Geld reichender Hände sind.

C. würde gerne etwas beitragen, wird wohl einen sozialen Beruf wählen, einen, das ist lustig, der sozial, gesellschaftsdienlich ist vor allem, weil er, wir erinnern Taylor Mali, mehr ausmacht als einbringt. Sie will ein FSJ machen, freiwilliges soziales Jahr, was, materiell gesehen, nichts anderes ist als ein Opfer an die Gesellschaft, eine Darreichung von Arbeitskraft.

C. will es machen, weil sie sich selbst etwas davon erhofft, einen inneren Gewinn. Aus dem gleichen Grund will sie es noch nicht jetzt machen, erst im nächsten Jahr. Weil das FSJ Produktivität in den Bahnen des Sozialstaates ist, C.s Machen während den Monaten davor aber nicht, erkennt der Staat das eine an, das andere nicht.

Er kennt kein Innehalten. Der Staat sieht das Leben noch immer als Fließbandarbeit, ein ewiger Akkord, während dem man nicht stillstehen kann, auch wenn die Fließbandarbeiter der Realität längst durch Maschinen ersetzt werden, die ihre Greifarme Tag und Nacht senken, so konzipiert sind, dass sie kein Innehalten brauchen, und bei Ermüdung des Materials austauschbar.

Das C. das nicht möchte, versteht er nicht.


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